Gravity is our friend –

die Schwerkraft ist unsere Freundin


Die Arbeit an der posturalen Kontrolle in der Alexander-Technik von Ariane Hesse nach Dr. Chris Stevens (1943  bis 2003, AT-Lehrer, Ausbildungsleiter und Physiologe) und Prof. Nadia Kevan, (AT-Lehrerin, Ausbildungsleiterin, Professur an der Folkwang-Schule Essen, Tänzerin www.atcn.eu ). Für jede Bewegung und auch jedes ruhige Stehen oder Sitzen brauchen wir eine Orientierung unseres Körpers im Raum, die der jeweiligen Situation angemessen ist, um nicht hin zu fallen.

 

Jede und jeder von uns hat das unbewusst als Kind gelernt. Dieser Lernprozess verläuft über viele Stufen wie dem Lagewechsel zwischen Rücken- und Bauchlage, Unterarmstütz in Bauchlage und Kopfkontrolle, dem Krabbeln, Sitzen, Stehen bis zum ersten Schritt. Im Lauf der kindlichen Entwicklung bilden sich nicht nur die dafür nötigen Muskeln aus; besonders wichtig sind die dazu gehörigen Verschaltungen zwischen zentralen Nervensystem ( ZNS), den Muskeln und den Sinnen, die für die Orientierung im Raum nötig sind: Gleichgewichtsorgan in den Ohren, Augen und ihre Verknüpfungen zum Gehirn, die sogenannte Exterozeption, das sind die Informationen über unseren Kontakt mit der Außenwelt und die Propriozeption, das sind Informationen über die Relation unserer Körperbereiche zu einander und auch die Wahrnehmung der Körperspannung. Für die beiden letzteren Sinne haben wir kleine Fühlorgane in der Haut bzw. Fühlorgane in Muskeln, Sehnen und Gelenken. Diese Informationsmenge wird im ZNS integriert und so können wir unsere Aufrichtung und unser Gleichgewicht steuern.

Dabei bilden sich im Lauf der Zeit gewohnheitsmäßige Bewegungsabläufe aus, diebevorzugt vom Nervensystem genutzt werden. Diese Prozesse verlaufen eher unbewusst. Selbst wenn ich später im Leben einen neue Fertigkeit lerne, z.B. eine

Sportart, ein Instrument zu spielen oder zu Tanzen, nutze ich zu dem zunächst bewussten Training des Neuen meine alten unbewusst ablaufenden Bewegungsprogramme.

Viele Faktoren können diese Programme beeinflussen. Bekannt sind unpassende Schulmöbel, einseitige Belastungen oder Bevorzugungen, Unfälle, Erkrankungen, Stress, emotionale Auswirkungen auf die Haltung und vieles mehr.

Der Fachausdruck „posturale Kontrolle“ umfasst die gesamten Vorgänge, die ZNS, seine Nervenverbindungen in den Körper hinein (peripheres Nervensystem) und der Bewegungsapparat erbringen, um die Balance in allen Situationen und bei allen Tätigkeiten zu wahren. Chris Stevens, der sich als Alexander-Lehrer intensiv mit dieser Physiologie befasste und darüber forschte, sprach von Aufrichtereaktionen, Aufrichtungsmechanismen und Unterstützungsmechanismen. Ich gehe davon aus, dass sie alle Komponenten des heutigen Begriffs der posturalen Kontrolle sind.

 

Die Physiologie geht heute von zwei Modellen für die Wahrung des Gleichgewichts aus. Im Feed-Back-Modus reagiert der Körper auf eine von außen kommende Störung des Gleichgewichts mit geeigneten Kompensationsreaktionen. Im antizipativen Modus werden mögliche Störungen gedanklich in die Planung der Bewegung mit einbezogen, was einer Feed-Forward-Regelung gleich kommt. 1 

Dies ist gerade bei selbst initiierten willkürlichen Bewegungen wichtig. Bevor ich mit einer Bewegung beginne stellt das ZNS die Weichen neu. Ich vermute, dass AlexanderTechnik in diesen Prozess hinein wirkt. Chris sprach immer von der Bewegungsvorbereitung, die verändert werden.

 

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1 W. Taube 2013, S. 56

 

 

 

Feed Back:

das Gehen wird durch einen unerwartete Schnur am Boden gestört, die Reaktion sind kompensatorische Bewegungen, um nicht zu fallen.

 

 

 

Feed Forward:

im Wissen darum gleich, auf dem wackeligem Brett zu stehen werden entsprechende Bewegungsvorbereitungen vorweg genommen.

 

 

Aus seinen Forschungen entwickelte er zusammen mit Nadia Kevan ein praktisches Vorgehen, das die Basis seines weiteren Alexander-Unterrichts wurde.

 

Dabei spielt eine physikalische Kraft eine wichtige Rolle, deren Einwirkung wir normaler Weise nicht fühlen, die Reaktionskraft zwischen Boden und Körper.

Die Schwerkraft bringt den Körper auf den Boden, der Körper fällt so lange bis ihr z.B. ein Fußboden, die Straße, eine Wiese oder ein Stuhl stoppen. Dort, wo der Körper diese tragende Fläche berührt, findet ein Gegendruck von dieser Fläche statt, das ist die physikalische Reaktionskraft. Wir nehmen sie nicht wahr, weil wir immer in der Schwerkraft sind. Ihre Kraftrichtung ist der Schwerkraft entgegen gesetzt.

Die Frage ist, wie ich auf diese „Aufwärtskraft“ ( upthrust) reagiere und wie ich sie nutze. Mit gelenkter Aufmerksamkeit und bestimmten richtungsgebenden Gedanken (im AT-Fachchinesisch Directions) kann die Information des Getragenseins   durch die Stützgewebe der Füße, Beine, des Beckens und der Wirbelsäule bis zur Auflagestelle des Kopfes auf der Wirbelsäule durch gelassen werden.

Ich lasse alles weg, was dieses Durchlassen behindern könnte. Hier kommt ein wichtiges Prinzip der Alexander-Technik zum Tragen, das Innehalten ( inhibition). In der Folge dieses Prozesses können Muskelpartien, die eher für kraftvolle und schnelle Bewegungen zuständig sind, ihren Tonus vermindern und damit länger werden; Muskelpartien, die für die Stabilisierung des Körpers verantwortlich sind, können störungsfrei arbeiten.

 

Meist bewirkt dies, dass sich die Wirbelsäule ein wenig längt und der Kopf in eine balancierte Position auf dem obersten Halswirbel kommt. Dann wird es einfach, alle weiteren Verspannungen und Verkürzungen im Bewegungsapparat weiter zu verringern und auch neue nützliche Spannung auf zu bauen.2

Wenn dieser Prozess vor einer neuen Bewegung eingeleitet wird, verändert sich die Physiologie des Körpers in der Bewegungsvorbereitung so die Hypothese. Einer willkürlichen Bewegung geht im ZNS eine Erregung voraus ( Bereitschaftspotential), die ein Bewegungsprogramm startet, das den Gewohnheiten und Bewegungserfahrungen eines Menschen den Vorzug gibt. Dies kann über die bewusste Bewegungsvorbereitung wie oben beschrieben verändert werden und damit wirklich neue Muster ermöglichen, auch wenn die Zeitspanne für diese Änderung mit wenigen Hundertsteln einer Sekunde sehr klein ist.3

 

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2 Chris Stevens 1992 und private Aufzeichnungen aus der Ausbildung

3 J. Bauer, 2000, S. 194 ff. zum Bereitschaftspotential und Ian Loram et. al., 2017, S. 367 zur Musterausbildung

 

Zwar steht eine wissenschaftliche Untersuchung bezüglich der Auswirkungen des­­ Alexander-Unterrichts unter Einbeziehen der Reaktionskraft zwischen Körper und  Boden noch aus. Jedoch haben viele Unterrichtsstunden von Chris und Nadia und von allen, die von ihnen darin ausgebildet wurden, eines gezeigt: diese Arbeitsweise ist effektiv und bedeutet im wahrsten Sinn des Wortes eine große Unterstützung für das psycho-physische Wohlbefinden.

 

Literatur:

J. Bauer: Selbststeuerung, Die Wiederentdeckung des Freien Willens, 2015, Karl Blessing Verlag München

Ian D., Loram et al.: Proactive Selsective Inhibition Targeted ar the Neck Muscles:

This Proximal Contraint Faciliates Learning and Regulates Global Control IEEE Transactions on Neural Systems and Rehabilitation Engineering, Vol. 25, No. 4, April 2017

 

W. Taube: Neuronale Mechanismen der posturalen Kontrolle und der Einfluss von Gleichgewichtstraining,  Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie, 2013; 14 (2), 55-63

 

Chris Stevens: Aufzeichnung der Ausbildungsstunde vom 17.11.1992 und private Aufzeichnungen

 

Fotos aus Privatbesitz A. Hesse von M. Tabuena und A. Fobian

 

Copyright Ariane Hesse.